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Soziale Stadtführung Zürich

2022-12-15

Ungewöhnlich für SAC Senioren ist der Start erst 10.32 in Wattwil. Aber es geht ja nicht in die Berge, sondern in die Stadt. In Stadelhofen kann Evi Hehli auch die Teilnehmer aus Richtung Will begrüssen und so schlendern wir vollzählig durch das Zürcher Oberdorf und rund um das Grossmünster. Im Restaurant (korrigiert) „Karl*A dIE Grosse“ geniessen wir eine angemessen bescheidene Suppe mit Bürli um gleich mit einem grossen Stück Torte zu kompensieren.

Die eigentlich Stadtführung beginnt in einem bescheidenen Haus im Niederdorf, das als Gassenküche bekannt ist. Das Speak-Out wurde im politisch heissen Sommer 1968 als Beratungsstelle für Jugendliche von engagierten Jungen ins Leben gerufen und ist nach bewegter Geschichte zu einem Treffpunkt für Randständige geworden, wo viermal in der Woche bis zu 60 Personen ein warmes Essen bekommen, sich treffen und austauschen können. Hier beginnt unser Stadtführer Hans gerade mit seiner bewegenden Lebensgeschichte: Vom ärmlichen Bergbauernbuben aus Elm, der mit 15 den Vater verlor. Seine Mutter fand sich mit 37 als Witwe mit sechs Kindern, alle Einkünfte gepfändet, immer wieder gezwungen nach demütigender Rechenschaft ihr Geld abzuholen. Nach der Lehre zog es Hans aus dem engen Tal nach Zürich. Als geschickter Schlosser hätte er sein Leben bewältigen können, aber die Vergangenheit wirkte nach. Immer wieder stürzte er ab in den Suff, rappelte sich wieder auf, verliebte sich und stürzte erneut ab. Die Erzählung ist eindrücklich, wie die Rede auf die Mutter kommt wird er von Rührung übermannt.

Der eigentliche Standrundgang beginnt zu verschiedenen Stationen: Die Loggien bei den Amtshäusern – ganz nahe bei der Polizei – wo bei mässigen Temperaturen unbehelligte Schlafplätze gefunden werden und wo auch Hans einmal mit 4 Promille direkt in die Entzugsklinik eingeliefert worden ist. Der Caritas-Laden, wo Bedürftige billig einkaufen können, das Ambulatorium bei der Kaserne, wo Menschen ohne Krankenversicherung geholfen wird und schliesslich das Netz 4 in den Räumen der methodistischen Kirche am Helvetiaplatz, ein Teil des Netzwerks aus gemeinnützigen, kirchlichen und städtischen Angeboten für Randständige, auch Auffangnetz und Ort der Vernetzung zwischen den Menschen. In Zürich ist es möglich für weniger als 40.- Franken pro Woche täglich einen Schlafplatz, ein warmes Essen und einen Kaffee zu bekommen. Wer das vorzieht, muss nicht auf der Gasse schlafen. Hans schätzt, dass zwischen 50 und 100 Menschen, darunter viele Drogensüchtige, Sans-Papiers oder Durchreisende, keine regelmässige Unterkunft haben.

Beindruckt von all dem Erfahrenen trennen wir uns. Ich besuche noch den prunkvoll eleganten Erweiterungsbau des Kunsthauses von Stararchitekt Chipperfield. Mit dem Beitrag, den nur die Stadt an diesen Luxusbau gezahlt hat, könnte man die städtische Unterstützung der Gassenküche während mehr als 2‘000 Jahren finanzieren!

Text:        Hansruedi Rutz

Fotos:       Angela Hofmann, Eva Hehli

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