2017-04-19
Mittwoch, 19. April
Winterlich verschneit bis in die Niederungen und die Bäume schwer verhangen empfängt uns heute Morgen die Landschaft, da wo erst noch blühender Frühling war. Immerhin bleiben uns auf der Zugfahrt ins Engadin zweifelnd fragende Blicke erspart, wie man sie sonst auch schon erlebt hat, wenn man in winterlicher Skiausrüstung durch das frühsommerliche Mittelland gereist ist.
Im Engadin ist es windig kalt, dagegen liegt dort kaum noch Schnee. Auch auf der Diavolezza angekommen scheint fast mehr Fels als Schnee durch den Nebel. Die kleine Vorgruppe mit Bergführer Albert, Reini, Marcel und mir, genehmigt sich in der warmen Gaststube eine Suppe und wartet darauf, dass sich der Nebel bald wie angekündigt lichtet. Das tut er dann auch und so fahren wir ein kurzes Stück gegen den Gletscher ab, um anzufellen und auf den Hausberg Munt Pers 3207 m zu steigen. Wie bestellt, gibt der Nebel Stück für Stück den Blick auf die wunderbare, grandiose Landschaft frei. Trotz sehr dünner Schneeauflage und drohender Steine wird schon die erste Abfahrt ein wahrer Genuss. Nach dem kurzen Anstieg zurück zur Diavolezza treffen wir zeitgenau mit den restlichen Tourengästen Nadja, Judith und Dani dort ein. Der gelungene Einstieg wird einzig dem unverwüstlichen Marcel ein wenig verdorben, erleidet doch ein Harscheisen seines Splitbords durch einen Stein eine irreparable Havarie, die ihn durch all die Tage begleiten wird. In bewundernswerter Weise hat er in der Folge viele schwierige Passagen oft mit nur einem Harscheisen passieren müssen.
Donnerstag, 20 April
Ein klarer, wolkenloser Morgen, strahlender Sonnenschein, -15° C und zuerst eine heikle Abfahrt mit Tragepassage auf den Vadret Pers erwartet uns. Dort unten ist es gefühlt dann noch 10° kälter.
Beim Anfellen bemerkt jemand mit Schrecken den Grund, weshalb heute sein Rucksack so wunderbar leicht ist. Schaufel und Steigeisen liegen noch unter dem Bett in der Unterkunft! Albert steigt die rund 200 Hm in Rekordzeit zurück, während wir uns in gemächlichem Schritt Richtung Gämsfreiheit in sonnigere Gefilde begeben. Unter sicherer Leitung des Bergführers finden wir am Fortezzagrat eine steile Traverse, die uns hinüber ins „Loch“ und um einen Sporn herum zum „Buuch“ führt. Die geringe Schneeauflage auf dem Gletscher veranlasst uns, am Seil zu gehen, um nicht unverhofft in einer der teils gewaltigen, gähnenden Spalten zu verschwinden. Mit zunehmender Höhe erfasst uns ein steifer, kalter Wind, der den spärlichen Neuschnee restlos vom harten Firn und oft blanken Eis fegt. So werden die letzten Meter über die Forcla Crast Agüzza zur Marco e Rosa-Hütte nahezu zum „Eiertanz“. Trotz strahlendem Sonnenschein zeigt das Thermometer beim Eingang -14°! Da lässt man sich gerne drinnen mit einer wärmenden Suppe und heissem Tee verwöhnen. Auf das für italienische Hütten typische feine Nachtessen spendiert das Haus einen zünftigen Génépi!
Freitag, 21. April
Bei ca. – 15 Grad zogen wir um 7 Uhr von der Marco e Rosa Hütte horizontal über abgeblasene glasige Gletscherfläche los Richtung Norden, Richtung Gegenwind. Bald konnten wir um den N-Ausläufer des Sommergipfels Crast Agüzza gehen und durch die Eisabbrüche windgeschützt zur Fuorcla dal Zupó gelangen.
Vom Skidepot versuchten wir es über den harten, abgeblasenen Ostgrat, mussten aber ca. 100 m weiter oben wegen des Windes umkehren, obwohl der Gipfel gar nicht mehr so weit schien.
Albert gab nicht auf, und führte uns via Nordflanke zum Gipfel des Piz Silber (Argient) 3945 m. Dank den guten Stufen, die er gehackt hatte, kamen wir auch wieder gut hinunter. Der Piz Zupó (der Verborgene) hatte auf der Westflanke einen steilen Panzer aus Blankeis, weshalb wir auf eine Besteigung verzichten mussten.
Nun konnten wir ca. 250 Hm abfahren in Richtung der berühmten Bellavista Terrasse. Weiter leicht ansteigend über diese Terrasse gegen SO, später gegen NW hoch, gelangten wir mit den Skis bis zur Spitze der Bellavista, 3888 m. Auch dort oben blies starker Nordwind. Wenig unterhalb des Gipfels, auf der Südseite war es annähernd windstill.
Wir fuhren zur Fuorcla Bellavista ab und glitten über den weiten, oft flachen Altiplano – Gletscher bis zur Marinelli Hütte, wo wir 14:45 Uhr eintrafen. Es sei 1165 m hinauf, und 1980 m hinab gegangen, stellte ein GPS Gerät fest.
Samstag, 22. April 17
"Harscheisen besser montieren", erklärte Albert. Und wer es nicht machte, hatte schon nach 15 Minuten zu beissen… Nachher ging es aber gemächlich die Strecke hoch, die wir am Vortag hinunter gefahren waren. Über die Gletscherfläche zogen wir unter der Südwand vom Piz Palü und fuhren dann nach Südosten ca. 20 Min ab. In der Senke zogen wir die Felle wieder auf, und gelangten zuletzt steil auf den Vorgipfel vom Piz Varuna, ca. 3450 m.
Auf der offiziellen Skiroute konnten wir nun weite Hänge hinunterschwingen. Albert fand stets den lockeren, festen oder sulzigen Schnee. Auf der Höhe von 2600 m mussten wir den Felsabbrüchen ausweichen und eine steile, Runse erwischen. Da diese der Sonne ausgesetzt war, mussten wir die Skier auf dem Rucksack aufgebunden ca. 100 Hm runter tragen. Eine heikle Stelle entschärfte Albert, indem er eine Verankerung mit zwei Eisschraubenplus Pickel machte. Über einen gefrorenen See oder rundum dem Ufer entlang ging es schattenhalb durch ein imposantes Gelände. Eine lange Mulde mit Sulzschnee und leicht geneigte, mit Grünerlen bewachsene Weiden liessen uns bis ganz hinunter zum Lagh da Palü (= Sumpfsee) 1930 m fahren. Die 30 Min. hinauf mit aufgebundenen Skis bis zur Haltestelle Alp Grüm erforderte zum letzten Mal unsere Beine. "Restaurant Betriebsferien" – wenigstens im WC konnten wir unsere Trinkflaschen auffüllen. Auf der Zugreise bewunderten wir nochmals die Bergwelt und die besonders schönen linsenförmigen Wolken – sie sahen aus wie fliegende Untertassen.
Unser Bergführer Albert Brunner wurde zu Recht überhäuft mit Komplimenten für ruhige Art, angenehmes Tempo, gute Spürnase, richtige Entscheide etc.
Teilnehmende: Judith und Daniel Boller, Nadja Hartmann, Sepp Meier, Marcel Seewer, Reini Wick Bericht: Sepp Meier, Reini Wick Fotos: Judith u. Daniel Boller, Sepp Meier, Nadja Hartmann, Reini Wick