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"Schweiss, Holz, Bier und Biberli" Hötteträgete 2016 Bericht NZZ

2016-06-25

 

Einzig mit Muskelkraft werden die Vorräte hinaufgeschleppt, auf Helikopter wird dabei – und das ist eine Ehrensache – verzichtet.

Schweiss, Holz, Bier und Biberli

Bei der «Hötteträgete» auf die Zwinglipasshütte im Alpstein werden Berggänger zu Tragtieren

127 Trägerinnen und Träger, 8500 Kilo Material, 143 000 Meter Höhendifferenz. Alles, was die Zwinglipasshütte auf 2000 Metern verbraucht, wird hinaufgetragen.

Jörg Krummenacher

Um Viertel nach sechs zieht die Karawane los. Mit Transportern ist sie von Wildhaus auf Kiessträsschen zur Teselalp hinaufgefahren worden. Nun geht es zu Fuss weiter, auf steilen Kehren den Wanderweg hoch zur Chreialp, knapp 400 Höhenmeter, auf dem Rücken tragen die Berggänger noch leichtes, persönliches Gepäck. Bis zur Chreialp führt auch eine Transportseilbahn, sie wird bis zum Mittag ununterbrochen in Betrieb sein und Nachschub liefern. Noch ist es angenehm kühl an diesem letzten Junisamstag. Nebel zieht die Hänge hinauf, verzieht sich wieder, die Sonne züngelt an den Bergspitzen. Kinder gehören zur Karawane, Frauen, Männer, viele Senioren. Manche plaudern, die meisten steigen still bergan. Früh aufgestanden sind alle.

Einfache Kost und Logis

Kurz nach sieben erreichen sie die Chreialp. Zeit zum Umsatteln. Nun wird, was die Transportbahn schon hochgebracht hat, in und auf die Rucksäcke gepackt. Einige benutzen Räfe, Traggestelle, hölzern oder aus Aluminium. Wieder zieht die Karawane los, es geht die letzten 200 Höhenmeter hinauf über Alpweiden und durch Schneefelder zur Zwinglipasshütte auf 2000 Metern über Meer. Nun tragen die Rücken schwer. Die «Hötteträgete». Sie sei ein Unikum in der Schweiz, sagt Hüttenchef Hans Egli. Seit der Eröffnung der SAC-Hütte beim Zwinglipass in den siebziger Jahren werden Verpflegung, Getränke und alles Verbrauchsmaterial jeweils am letzten Junisamstag hinaufgetragen, werden die SAC-Mitglieder der Sektion Toggenburg zu Sherpas. Ehrensache, dass auf Helikopterflüge verzichtet wird. Es gab Zeiten, da gab es kein Bier auf dem Pass. Heute ist das anders. 700 Liter in Büchsen werden in die Rucksäcke gestopft, ebenso 700 Liter Saft, 700 Liter Shorley, 300 Liter Wein, die Mischung für den Hüttenkaffee «Stääbock», Kräuterschnaps, Zwetschgenschnaps, Grappa. Die Zwinglipasshütte bietet bewusst einfache Kost. Eine Tonne Lebensmittel: Gemüsebouillon, Teigwaren, Rösti, Kartoffeln, Reis, Zwiebeln, Appenzeller Biberli, Prügeli, Kägifret, Salznüssli. Reinigungs- und anderes Material wie WC-Papier. Das soll reichen für die Wandersaison im Sommer und Herbst und für den dauernd geöffneten Winterraum. Inzwischen sind die ersten Träger der Karawane, Schweissperlen auf der Stirn, bei der Hütte angelangt, wo jeder Name säuberlich notiert, das transportierte Material entgegengenommen und in den Lagerräumen verstaut wird. «Türe schliessen», steht am Eingang zum Keller. Die permanenten Bewohner des Passes, Murmeltiere, Mäuse, Schlangen – Kreuzottern –, sind von den Vorräten fernzuhalten. Auf der Terrasse stehen für die Sherpas Tee, Kaffee und Bouillon bereit, um den Durst zu löschen und Energie zu spenden. Plötzlich, es ist acht Uhr, schiebt sich dichter Nebel vor die Sonne. Eine halbe Stunde später ist er wieder weg, das Wetter hält sich besser als vorausgesagt, die Temperatur steigt. Es geht wieder hinunter zur Chreialp, Material fassen, wieder rauf, immer wieder, rauf und runter, jede und jeder trägt so viel, wie die Kräfte erlauben, im eigenen Rhythmus, das Panorama mit den Churfirsten, dem Altmann, dem Dreizack des Girenspitzes vor Augen. Zum Schluss werden alle Sherpas zusammen 143 000 Höhenmeter gemacht haben.

Die Sherpas vom Zwinglipass

567-mal ist Eugen Kressibucher zum Zwinglipass hinaufmarschiert in den 21 Jahren, da er Hüttenchef war. Vor fünf Jahren hat er die Verantwortung an Hans Egli abgegeben. Jetzt steht er vor einer der Alphütten auf der Chreialp, gibt das Holz heraus, das ebenfalls zur Hütte hinaufmuss, 14 Ster Tanne und Buche, knapp 5 Tonnen. Die Scheite, zu Bündeln gezurrt oder in Säcke zu 20 Kilo gepackt, sind schon vor einer Woche mit der Transportbahn auf die Chreialp gebracht worden. Noch nie musste so viel Holz in die Hütte getragen werden, eine Folge der ständig wachsenden Zahl von Besuchern. Die grosse Menge Holz wird zur Pièce de Résistance im Lauf des Morgens. 1700 Übernachtungen zählte die SAC-Hütte mit ihren 35 Schlafplätzen im letzten Jahr. Eine Solaranlage liefert den Strom, das Holz die Wärme. Geführt wird die Hütte nicht allein vom Hüttenchef, sondern von einem Team ehrenamtlicher Helfer, die sich abwechseln. Sie tragen sich in eine Liste ein, die in der Gaststube aushängt. «Es ist sehr beliebt, in dieser wunderschönen Hütte mitzuhelfen», schwärmt Hans Egli. Der Name von Pass und Hütte erinnert an Huldrych Zwingli, den Reformator, der zu Neujahr 1484 mitten in Wildhaus zur Welt kam und dort aufwuchs. Die Bezeichnung Zwinglipass findet sich in den Quellen aber erst im 20. Jahrhundert. Zwingli war ein alteingesessener Familienname im oberen Toggenburg, ging auf den Begriff «Zwing» zurück, Synonym für obrigkeitliche Verfügungsgewalt.

Murmeltiere und Fussball

Mit voller Ladung hinauf, leer hinunter. Immer wieder begegnen sich auf dem Hin und Her zwischen Chreialp und Zwinglipass altbekannte SAC-Mitglieder, manche haben sich seit der «Hötteträgete» des letzten Jahres nicht mehr getroffen, nutzen die Gelegenheit zur Plauderei. Beliebtes Thema ist die Fussball-EM; man tauscht Einschätzungen für Tippspiele aus. Unweit des Wegs gibt ein Murmeltier Warnpfiffe ab. Hans Egli hat nun auf sein Räf 20 Liter Petrol fürs Licht geladen. Pius Kressibucher, der Sohn des ehemaligen Hüttenchefs, macht sich bereits zum sechsten Mal zur Hütte auf, 20 Kilo Holz auf dem Rücken. Zum Schluss wird er den Weg elfmal gemacht haben. Als sein Vater die Hütte übernahm, war er zehn Jahre alt. Immer wieder sei er gerne hier oben gewesen, erzählt er. Heute gehört er zum Team der freiwilligen Helfer.

Plumpsklos werden ersetzt

Gegen Mittag schleicht sich Müdigkeit in die Knochen. Zusehends füllt sich die Terrasse der Zwinglipasshütte. Nächstes Jahr, kündigt Hans Egli an, werde die Hütte für über eine Million Franken erweitert. Ein Drittel des Geldes habe die SAC-Sektion beisammen, noch würden Sponsoren gesucht. Die Kapazität wird aufgestockt, ein neuer Winterraum angebaut, neue WC samt Abwassersystem ersetzen die Plumpsklos. Der Anlass im Juni wird bleiben. Jemand sucht nach der Handorgel. Kurz setzt Regen ein, dann bricht die Sonne wieder durch. Noch immer ist nicht alles Holz oben, doch die Sherpas vom Zwinglipass sind müde geworden. Die letzte halbe Tonne Holz wird die Jugendorganisation am Sonntagmorgen hinauftragen. Es gibt Gerstensuppe, Bratwürste und Kuchen, erst jetzt ist auch Alkohol erlaubt. Mit drei grossen Schellen wird der gemütliche Teil eingeläutet, denn die «Hötteträgete» ist auch – vor allem – ein gesellschaftlicher Anlass. Auch die Handorgel ist aufgetaucht.