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2015-02-19
Es ist noch dunkel, als ich mich auf den Weg zum Wattwiler Bahnhof aufmache. Auf dem Perron sind die mit einem Rucksack geschulterten Leute nicht zu übersehen. Sie unterscheiden sich von den Pendlern in Kleidung und Gesichtsausdruck, der die Vorfreude auf einen wundervollen Tag zum Ausdruck bringt. Wir sind bis zu zwei Händen voll Leute angewachsen, Männlein und Weiblein im Verhältnis 1:9, die treue Hündin nicht mitgerechnet. Wie früh wir auf den Beinen sind, zeigt sich daran, dass wir kaum erkennen, wo wir mit dem Zug durchfahren. Der Walensee erscheint als blauschwarze Masse. In Flums dann zeigt sich auf den Berggipfeln das erste Gold, das hinunter wächst, je mehr wir uns der Bergwelt Graubündens nähern. Zwei Personen steigen in Landquart zu. Nun hat sich der Männeranteil um eins erhöht! Auf der Fahrt das Prättigau hinauf erwachen unsere Sinne mehr und mehr. Die rechte Bahnseite im spätwinterlich braungrünen Kleid, die linke weiss, mit Hütten und Weilern, die an den steilen Hängen kleben. Nach dem fast 20 Kilometer langen Vereina - Tunnel befinden wir uns im schönen Engadin. Nicht nur die Art der Häuser, dicke Mauern, Fenster und Türbogen liebevoll bemalt, auch das Licht ist ein anderes. In Scuol kramen wir unsere Sonnenbrillen hervor, so stechend ist das Licht, das vom Schnee reflektiert wird. In einer gemütlichen Bündner Wirtsstube holen wir den Morgenkaffee nach. Beim Bezahlen winkt die Serviererin ab. Wer wars? Sie outet sich: Agnes Heuberger feiert heute Geburtstag. Vielen Dank und Happy Birthday, liebe Agnes!
Ein schmaler schneebedeckter Pfad führt uns hinauf Richtung Ftan. Zum Teil ist er vereist und mit Sägemehl rutschfest gemacht worden. Dennoch heisst es aufgepasst, es will niemand einen Fuss vertrampen. Bei gleichmässiger Steigung kommen wir gut voran. Da eine Lärche, dort eine Bergföhre. Bald befinden wir uns auf dem breiten Schlittenweg, der infolge vereister und aperer Stellen nicht befahren wird. Nach einer Stunde der erste Halt, vor uns das malerische Dorf Ftan. Vorher war mein Blick Richtung Füsse gerichtet. Erst jetzt kann ich mich der herrlichen Bergwelt hingeben. Ida Binkert, unsere kompetente und freundliche Leiterin, bemerkt, dass es keinen Sinn habe, sie nach den Namen der Gipfel zu fragen, sie wisse sie selbst nicht. Kurt hilft aus der Patsche: Das, was wir hier in der Nähe sehen, ist die Umgebung und alles, was weiter weg ist, ist das Panorama! Jetzt ist unser Wissensdurst gestillt!
Wir lassen Ftan links liegen und steigen steiler hinan Richtung Prui. Um halb eins machen wir Rast und stillen Hunger und Durst in einem Lärchenwäldchen. Die sonnenbeschienenen Steine sind tatsächlich schon temperiert. Nun nochmals auf die Zähne beissen beim steilsten Stück des Wegs und schon ist das Restaurant zu sehen. Auf der Terrasse tummeln sich Leute wie Ameisen. Auch die Schifahrer bekommen Hunger! Es ist die Bergstation der Sesselbahn, welche von Ftan bis Prui führt. Das Licht ist so grell, dass es mir nichts ausmacht, in der Hütte zu essen, wo wir uns an einem runden Tisch gemütlich niederlassen. Die lange Pause tut gut. Gestärkt brechen wir auf. Bis zu Motta Naluns ist es nur noch ein Spaziergang auf dem breiten Winterweg. Wundervoll, die wuchtigen Spitzen auf der rechten Seite, unzählige leuchtende, weiss-graue Zacken, dazwischen schmale Täler, unberührte Schneerücken. Während wir vorher nur wenigen Leuten begegnet sind, ist dieser Abschnitt für viele ein bequemer Winterspaziergang. Man kann sich auf Bänken niederlassen oder sich in Wind geschützten Nischen der Sonne hingeben. Immer wieder bestaunen wir das Panorama, können nicht genug davon bekommen. Die Müdigkeit in den Beinen ist verflogen, alles ist nur noch Genuss. Den Abstieg leisten wir uns mit der Bahn. Auf dem Bahnhof lassen wir uns von den letzten Sonnenstrahlen verwöhnen und dann geht’s gemütlich heimwärts. Ich schrieb schon früher am Schluss des Aufsatzes von der Schulreise: Müde und glücklich sind wir zu Hause angekommen. In unserem Alter gibt es noch einen Zusatz: Dieses herrliche Erlebnis trägt uns durch den Alltag und wir zehren davon bis zum nächsten Mal.
Text: Felice Bosshard
Fotos: Sophia Graf und Evi Hehli
